BEI DIESEM OFFENEN BRIEF FEHLEN EINEM DIE WORTE 😟


Offener Brief an die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, die Staatsanwaltschaft Koblenz und die Presse

Generalstaatsanwaltschaft ĂŒberschreitet die Grenzen des Anstands – wir fordern Gerechtigkeit

Am kommenden Sonntag wĂ€re unsere Tochter Johanna 26 Jahre alt geworden. Wenn unsere Familie und ihre Freunde an diesem Tag zusammenkommen, bleibt ihr Platz leer. Es ist ein Schmerz, den wir jeden einzelnen Tag tragen – und der nie vergeht. Dass wir als Angehörige zusĂ€tzlich auch noch mit der Respektlosigkeit und Ignoranz der Justiz konfrontiert werden, ist fĂŒr uns nicht lĂ€nger hinnehmbar.
Bis heute wurde keine Anklage gegen den damaligen Landrat JĂŒrgen Pföhler erhoben – trotz zahlloser Hinweise, Gutachten und offenkundiger VersĂ€umnisse im Vorfeld der Ahrflutkatastrophe vom 14. Juli 2021. Was uns seitens der Staatsanwaltschaft Koblenz und der Generalstaatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang zugemutet wird, empfinden wir als Schlag ins Gesicht – nicht nur fĂŒr uns, sondern fĂŒr alle Hinterbliebenen der Flutopfer.
Bereits bei der Pressekonferenz im vergangenen Jahr erklĂ€rte Staatsanwalt Mannweiler sinngemĂ€ĂŸ, eine frĂŒhere Warnung hĂ€tte ohnehin nichts bewirkt – die Menschen hĂ€tten sie nicht beachtet. Eine solche Aussage ist nicht nur zynisch, sondern stellt in unseren Augen eine gefĂ€hrliche Umkehr von Verantwortung dar. Sie suggeriert, dass es sinnlos gewesen wĂ€re, Menschenleben durch rechtzeitige Kommunikation zu schĂŒtzen – eine Behauptung, die durch nichts belegt ist, aber öffentlich Wirkung entfaltet.

Viel bedenklicher jedoch ist das Signal, das von solchen Aussagen ausgeht: Wenn Warnungen angeblich ohnehin nichts bringen, kann man daraus im Umkehrschluss ableiten, dass Investitionen in FrĂŒhwarnsysteme, Alarmketten und prĂ€ventive Kommunikation ĂŒberflĂŒssig seien. Das öffnet einer gefĂ€hrlichen GleichgĂŒltigkeit TĂŒr und Tor – und entwertet den gesamten Katastrophenschutz. Es darf niemals zur akzeptierten Argumentation der Justiz gehören, dass rechtzeitiges Handeln keinen Unterschied gemacht hĂ€tte – vor allem dann nicht, wenn dieses Handeln gar nicht oder in falscher Weise stattgefunden hat.
Die Staatsanwaltschaft verweist auf eine KATWARN-Warnung um 19:35 Uhr, in der vor einem möglichen Pegelstand von 5 Metern gewarnt und das Meiden von Erdgeschossen empfohlen wurde. Was dabei ignoriert wird: Die App erreichte laut offiziellen Zahlen nur etwa 10 % der Bevölkerung im Ahrtal.
Noch gravierender: Trotz dieser Warnung enthielten die Lautsprecherdurchsagen der Feuerwehr auch nach 20:00 Uhr keinerlei Hinweis auf eine RĂ€umung von Erdgeschosswohnungen.
Dass man sich dennoch auf KATWARN als zentrale Maßnahme beruft, obwohl ergĂ€nzende Warnmittel nicht genutzt wurden, ist ein schwerwiegendes VersĂ€umnis – und widerspricht klar den gesetzlichen Vorgaben zur Warnpflicht.
Wir haben der Generalstaatsanwaltschaft inzwischen das Mobiltelefon unserer Tochter (auf welchem die KATWARN App nicht installiert war) als Beweismittel angeboten. Die Reaktion darauf ist erschĂŒtternd:
Zitat aus dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft:
„
 dabei werde ich namentlich prĂŒfen, ob respektive inwieweit es auf die Frage der Installation der Warn-Applikation KATWARN ankommt und ob Anlass besteht, auf die von Ihnen unterbreiteten Beweisangebote zurĂŒckzukommen.
Ungeachtet dessen, steht es Ihnen selbstverstĂ€ndlich frei, das Mobiltelefon, sollte es betriebsbereit sein, was fraglich erscheint, auf freiwilliger Basis zu ĂŒbermitteln.“
Diese Antwort der Generalstaatsanwaltschaft ist ein klassisches Beispiel fĂŒr formale Höflichkeit bei inhaltlicher Blockadehaltung. Es wird der Anschein einer PrĂŒfung erweckt, ohne sich tatsĂ€chlich auf eine sachliche Auseinandersetzung mit den angebotenen Beweismitteln oder deren Relevanz festzulegen.
Sehr schmerzhaft ist es, dass die Generalstaatsanwaltschaft den Verdacht Ă€ußert, das GerĂ€t sei möglicherweise nicht betriebsbereit.
Eine solche Unterstellung ist nicht nur sachlich unbegrĂŒndet – sie ist in ihrer KĂ€lte und Distanz gegenĂŒber uns als Eltern schlicht unmenschlich.
Allein diese Denkweise lĂ€sst tief blicken – und zeigt, mit welcher Voreingenommenheit und fehlenden Empathie hier mit Hinterbliebenen kommuniziert wird. Der Eindruck der Vermeidung aktiver Ermittlungspflicht ist kaum noch zu ĂŒbersehen.
Dass unser Angebot zur Mitwirkung nicht respektvoll und ergebnisoffen, sondern mit vorgefasster Skepsis beantwortet wird, ist fĂŒr uns ein weiterer Beleg dafĂŒr, dass der Wille zur lĂŒckenlosen AufklĂ€rung fehlt.
Zudem empfinden wir es als Ă€ußerst befremdlich, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz – vertreten durch Herrn Staatsanwalt Mannweiler – in der Pressemitteilung zur Verfahrenseinstellung die KATWARN-Warnung explizit als relevantes Argument fĂŒr eine ausreichende Warnlage anfĂŒhrt, nun aber, sobald mit dem Mobiltelefon unserer Tochter ein greifbares, möglicherweise einzigartiges BeweisstĂŒck eines Todesopfers vorliegt, plötzlich der Eindruck entsteht, die Bedeutung dieser App sei gar nicht mehr so entscheidend. Diese WidersprĂŒchlichkeit wirkt auf uns nicht nur irritierend, sondern auch wie ein gezieltes Ausweichen vor unbequemen Fakten.

DarĂŒber hinaus wurden mehrere unabhĂ€ngige Gutachten eingereicht – von ausgewiesenen Fachleuten auf den Gebieten Hydrologie, Katastrophenschutz und Rechtswissenschaft:

Prof. Dr.-Ing. Erwin Zehe (Hydrologie)
Gerd GrÀff (Katastrophenschutz)
Prof. Dr. Gudrun Ingeborg Puppe (Rechtswissenschaft)

Auch diese Gutachten werden bislang vollstĂ€ndig ignoriert. Dass hochqualifizierte und sachlich fundierte Analysen in einem Verfahren von solcher Tragweite keinerlei erkennbare BerĂŒcksichtigung finden, ist fĂŒr uns nicht nachvollziehbar – und wirft ein weiteres beunruhigendes Licht auf die QualitĂ€t und UnabhĂ€ngigkeit der Ermittlungen.
Wir stellen fest: Die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft zeigen weder UnabhĂ€ngigkeit noch den erkennbaren Willen, das Geschehene lĂŒckenlos aufzuklĂ€ren. Es entsteht der Eindruck, dass hier nicht mit aller gebotenen Konsequenz ermittelt wird – sondern vielmehr versucht wird, politische oder behördliche Verantwortung zu deckeln, anstatt sie einem unabhĂ€ngigen Gericht zur Bewertung vorzulegen.
Wir fordern:
– die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen JĂŒrgen Pföhler,
– die ernsthafte PrĂŒfung aller von uns und von externen SachverstĂ€ndigen eingebrachten Beweise, Gutachten, Beschwerden und Stellungnahmen
– die öffentliche Klarstellung der widersprĂŒchlichen Aussagen zu Warnzeitpunkten und -mitteln,
– und den respektvollen Umgang mit den Angehörigen der Flutopfer – denn diese haben Anspruch auf Wahrheit, nicht auf Beschwichtigung.
Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Justiz, Sie haben mit Ihrem Verhalten nicht nur die Grenzen des Anstands ĂŒberschritten – Sie haben das Vertrauen, das trauernde Familien in einen funktionierenden Rechtsstaat setzen mĂŒssen, zutiefst verletzt.
Was uns hier seitens der Ermittlungsbehörden zugemutet wird – an Ignoranz, an KĂ€lte, an Misstrauen – ist nicht nur unmenschlich, es ist beschĂ€mend.
In einer Zeit, in der wir Trost, AufklĂ€rung und MitgefĂŒhl brĂ€uchten, begegnet man uns mit Distanz, Zweifel und Abwehr. Das ist fĂŒr uns kaum noch auszuhalten – und eines Rechtsstaats unwĂŒrdig.
Wir behalten uns weitere rechtliche und öffentliche Schritte ausdrĂŒcklich vor.

In tiefer Trauer
Ralph und Inka Orth
Eltern von Johanna Orth, † 14. Juli 2021